Alle freuen sich, dass hier jeder anders ist

Diesen Satz sagte eine Freundin, während sie im Ausland unterwegs war und auf neue, völlig verschiedene Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Sprachen und Interessen traf. Und dabei möchte hier doch jeder „normal“ sein oder? Auf keinen Fall „anders“.
Was auf einer Reise passieren kann
Zu Beginn möchte ich dir eine Geschichte erzählen:
Eine Freundin von mir, nennen wir sie Petra, lebt und arbeitet in Deutschland. Sie ist ein vielseitiger Mensch und spricht fünf Sprachen. Als sie Anfang 20 war lebte sie für ein paar Jahre in Italien, während ihres Studiums verbrachte sie zwei Semester im Ausland, eines in England und eines in Portugal. Ihre Urlaube verbrachte sie auch gerne außerhalb von Deutschland, erstens um die Länder zu sehen und neue Kulturen kennenzulernen und zweitens, damit sie die entsprechende Sprache sprechen konnte und sie so festigte. Mittlerweile ist Petra etwas über 50 Jahre jung, ihre Kinder sind ausgezogen und sie sehnte sich nach Abwechslung. Da kam ein Angebot über einen zweimonatigen Aufenthalt in einer Pension in Südamerika gerade richtig. Dort suchte das Paar, welches die Pension betreibt, eine Person, die sie bei ihrer Arbeit unterstützt, die Landessprache beherrscht und interessiert ist, für zwei Monate tatkräftig bei der täglichen Arbeit der Pension mit anzupacken. Bei Petra leuchteten die Augen und sofort bewarb sie sich für dieses Angebot. Diese Geschichte wäre ja langweilig, wenn ich jetzt schreiben würde: Ach, und dann kam die Absage, sie war so traurig und damit ist die Geschichte auch zu Ende…
Natürlich wurde sie angenommen und sie freute sich wie Bolle. Sie sprach mit ihren Kunden (sie ist selbstständig) und legte die entsprechenden bestehenden Termine um, wenn sie zurück sein würde. Ihre Kinder freuten sich für sie und so flog sie los, für zwei Monate nach Südamerika. Die Reise dorthin war aufregend und die Pension so abgelegen, dass sie auf der Fahrt vom Flughafen zur Pension in den 3 ½ Stunden nur zwei Menschen auf Fahrrädern und einem anderen Auto begegneten. Die Pension war sehr schön, rustikal und liebevoll eingerichtet auf einem seeeehr großen Gelände mit viel Wiese, einem kleinen Wald, einer Terrasse und einem hübschen Garten. Ihr Zimmer war gemütlich und sie freute sich sehr auf die Zeit, die sie hier verbringen würde.
Doch, du kannst es dir schon denken, es kam anders. Petra erledigte alle Aufgaben, die sie erledigen sollte: Wäsche waschen, aufhängen, zusammenlegen und einräumen, das Geschirr abwaschen und einräumen, die Tische abwischen, die Terrasse fegen, die Tische eindecken, beim Frühstück nachfüllen, was leer war, den Flur staubsaugen, die Blumen im Haus gießen, usw. Alles Tätigkeiten, die sie kann und so tat sie ihr Bestes. Doch die Chefin war nicht zufrieden: die Wäsche hätte sie falsch gewaschen und zusammengelegt, das Geschirr falsch eingeräumt, die Terrasse nicht ordentlich genug gefegt, die Blumen zu wenig oder zu viel gegossen, in den Ecken im Flur läge noch Staub, usw. An fast allem, was Petra tat, mäkelte die Chefin herum. Meine Freundin war traurig und ratlos. Es war so schön an diesem Fleckchen Erde, so ruhig und abgelegen und in den Vorgesprächen hatten sie sich wirklich gut verstanden. Sie machte die Arbeiten und fand selber nicht, dass es so „schlimm“ sei, wie die Chefin sagte. Diese negativen Worte machten Petra schwer zu schaffen. Es ging ihr emotional und körperlich immer schlechter und irgendwann wollte sie nur noch weg. Die Versuche von ihr mit der Chefin zu sprechen, gelangen leider nicht. Sie war erst seit 14 Tagen dort und zwei Tage später schaffte sie es, mit einem Bus in die nächste Stadt zu fahren. Es ist dort nämlich nicht so, dass du einfach mal so wo hinfahren kannst, nein, dort fährt nicht jede Stunde ein Bus, sondern irgendwann ein- oder zweimal in der Woche.
Nach ein paar Tagen in einem Hotel in der Stadt ging es Petra etwas besser, doch sie wollte nach Hause. Das Ganze war leider anders verlaufen als erhofft… In ihrem Hotel lernte sie andere Leute kennen, denn sie war ja nach wie vor der Sprache mächtig und interessiert an allen Menschen, mit ihren Geschichten und Vorstellungen. Ein Mann sagte ihr, sie solle noch etwas weiter nach Süden fahren, dort wohne sein Bruder und es wäre wunderschön dort. Das tat sie auch und so stieg sie wieder in einen Bus ein, wo sie eine Überraschung erlebte: Der Busfahrer freute sich sie zu sehen und umarmte sie. Es war derselbe Fahrer, der sie von der Pension in die Stadt gefahren hatte, er freute sich, sie zu sehen und dass es ihr deutlich besser ging, sie wieder fröhlich war. Während der Fahrt sprach sie auch mit den anderen Leuten im Bus. Es waren total unterschiedliche Menschen, verschiedene Nationalitäten und Sprachen. Doch irgendwie schafften es alle, sich miteinander zu unterhalten, zu lachen und sich auszutauschen, wer wieso hier war und wo es jetzt hingehen sollte.
Als sie mir diese Geschichte erzählte, sagte sie: „Und in diesem Bus freuten sich alle, dass hier jeder anders war. Das war so schön und ich hatte wieder Lust auf das Land und die Leute und alles Neue, wie am Anfang, als ich dorthin bin.“
Dieser Satz: „Und alle freuten sich, dass hier jeder anders war.“, fand ich so schön gesagt, ich konnte mir vorstellen, wie sie in dem Bus saß, zusammen mit den vielen verschiedenen Leuten, alle am Lachen und Reden und dabei fuhren sie durch eine schöne, sonnige Landschaft. Dieser Satz hat in mir etwas ausgelöst.
Ist „anders sein“ schlecht?
Als Erzieherin und Mutter weiß ich, dass bei uns in Deutschland vieles eine Norm hat. Auch die Entwicklung von Kindern ist davon geprägt, wann sie was können sollten, was „normal“ ist und was von der Norm abweicht. Was ist, wenn ein Kind sich nicht entsprechend der Entwicklungstabelle entwickelt? Dann wird es weitergeleitet und darf die Logopädie oder Ergotherapie besuchen, bekommt in der Kita oder der Schule eine passende Förderung und die Eltern machen sich ihre Gedanken dazu – bestimmt keine guten. Wie bei Petra: sie machte ihre Aufgaben und die Chefin beklagte sich, dass es so nicht richtig sei.
Wie fühlt sich ein Kind, wenn es etwas „nicht richtig“ macht oder nicht kann? Wenn es „anders“ als die anderen Kinder ist? Und dann noch zu bestimmten Fachleuten gehen soll, die mit ihm das üben, was es nicht richtig beherrscht? Ich weiß, dass das dem Kind nicht gut tut und bei ihm ein ebenso schlechtes Gefühl macht, wie es Petra hatte. (Wer legt denn fest, dass die Wäsche nur so zusammengelegt werden kann?)
Auch die Eltern machen sich sehr wahrscheinlich Sorgen, sie hoffen, dass ihr Kind schnell alles „richtig“ macht und die spezielle Förderung endet. Denn das sorgt auch bei ihnen für ein ungutes, ein schlechtes Gefühl, wenn ihr Kind nicht der Norm entspricht und somit „anders“ ist. Vielleicht fühlen sie sich auch als schlechte Eltern, die nicht alles „richtig“ gemacht haben.
Doch wer legt denn fest, was „normal“ ist? Wer legt fest, dass alle irgendwie gleich sein sollen? Wer entscheidet, dass „anders sein“ etwas Schlechtes ist?
Anders sein in deiner Familie
Ich verrate dir etwas (was du bestimmt schon weißt, doch ich sage es nochmal): Jeder von uns ist anders! Niemand ist gleich – du nicht, dein Mann nicht, deine Frau nicht, dein Sohn nicht, deine Tochter nicht, deine Mutter nicht, dein Vater nicht. Niemand. Jeder ist anders, jeder hat etwas, was er schlecht kann oder ihm schwerfällt und jeder hat wunderbare Fähigkeiten, die ihm leicht fallen und Freude bereiten.
Wie langweilig wäre es bitte, wenn jedes Familienmitglied in deiner Familie gleich wäre?! Wenn jeder das Gleiche gut könnte und Freude an genau derselben Sache hätte??
Das Unterschiedliche macht es doch im Leben und in der Familie erst so interessant. Dadurch bekommen wir neue Blickwinkel und entdecken neue Dinge, die wir sonst nicht entdeckt hätten. Du kannst deinem Partner/ deiner Partnerin zeigen, wie etwas leicht geht, was du gut kannst und ebenso kann dir dein Partner/ deine Partnerin das umgekehrt genauso zeigen.
Und dein Kind. Schau doch einmal genau, was dein Kind macht und kann.
Hattest du eine bestimmte Vorstellung, wie dein Kind sein soll, als es geboren wurde? Worin es stark sein soll, was es gut können soll, welche Interessen es haben soll? In Kindergartenzeiten gab es nachmittags Schwimmunterricht, Musikunterricht, ein sportliches Hobby und Früh-Englisch? Du wolltest, dass dein Kind aufs Gymnasium geht mit den entsprechend guten Noten? Wolltest du vielleicht das alles, damit dein Kind die bestmögliche Förderung bekommt und es ihm dadurch leichter fällt, alles „richtig“ zu machen?
Oder ist es bei dir anders? Schaust du deinem Kind manchmal zu, bei dem was es tut? Du beobachtest es einfach. Schaust, womit es sich beschäftigt, wie es spielt, baut, puzzelt, malt. Wofür es sich so begeistert, dass die Augen leuchten oder es so fasziniert ist, dass der Mund vor Staunen offensteht. Du siehst, welche Dinge deinem Kind leichtfallen, was es gerne tut und gut kann. Vielleicht kann dein Kind etwas besonders gut, was dir schwerfällt? Oder du hast eine wunderbare neue Bekanntschaft über das begeisterte Hobby deines Kindes gefunden? Freust du dich dann, dass dein Kind andere Dinge toll findet, als du und du deinen Horizont erweitern durftest? Bist du dann froh, dass dein Kind anders ist, anders als du?
Durch die eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen deines Kindes, darfst auch du neue Dinge entdecken. Dein Kind nimmt dich mit auf eine neue Reise mit neuen Menschen und Erlebnissen. Und auch du zeigst deinem Kind deine Welt, das was dich ausmacht, wofür du dich begeisterst. Genauso wie es dein Partner/ deine Partnerin tut und dein Kind und dich mitnimmt zu dessen Leidenschaften. Dadurch wird euer Leben bunt, vielseitig, interessant, ihr lernt neue Menschen und Dinge kennen und könnt, wie Petra im Bus, gemeinsam reden und lachen.
Freust du dich auch, dass hier jeder, besonders in deiner Familie, anders ist? 😊
Schreib mir gerne in die Kommentare, wer bei euch wie anders ist und wie ihr euch darüber freut.
Eine inspirierende Story, die zum Nachdenken anregt: vielen Dank dafür! Eine Weiterempfehlung an unsere Leserinnen und Leser bei Twitter ist schon vorbereitet 🙂
Beste Grüße
Eddy